Waldbaden (jap.: Shinrin-Yoku) hat positive Auswirkungen auf unsere physische und psychische Verfassung. Wie mein erstes Waldbaden-Erlebnis ablief, welches Fazit ich hieraus für mein Leben ziehe und warum ich denke, dass genau das auch etwas für dich ist – darüber informiert dich dieser Artikel.

Waldbaden im Regen: Soll ich oder soll ich nicht?
Ich ahnte bereits am Vortag, dass es heute regnen wird. Lange habe ich daher überlegt, ob ich mein erstes Waldbaden-Erlebnis direkt in so einer Extremsituation starten soll. Also wartete ich lange ab. Gegen frühen Nachmittag hörte der Regen dann auf. „Aber ich kann doch jetzt bei dem Dreck nicht barfuß in den Wald gehen?“, meinte mein Verstand ganz nüchtern.
Ich entschied mich trotzdem dafür. Im Flur schnürte ich mir meine wasserfesten Wanderschuhe, nahm meine Jacke, Geldbeutel, Schlüssel und zur Sicherheit einen Regenschirm mit. Dass ich diesen so überhaupt nicht brauchen konnte, stellte sich erst später heraus. Als ich dann tatsächlich vor dem Wald stand, war mein Tatendrang ungebremst. Voller Vorfreude, was mich alles erwarten würde, stürzte ich mich in die Natur. Ich roch bereits die frische Luft nach dem Regenguss.
Ganz bewusst entschied ich mich dafür, heute einmal nur meiner Intuition zu folgen. Anfangs noch etwas unsicher, trieb mich mein Verstand zunächst in die falsche Richtung. Mein Bauchgefühl sagte mir bereits vorher, dass ich an der Weggabelung abbiegen sollte. „Nein, da kannst du jetzt nicht lang! Da ist ja alles nass und möglicherweise rutschig“, erwiderte zu diesem Zeitpunkt mein Verstand. Hätte ich mal besser auf meinen „Bauch“ gehört – so musste ich dann doch wieder umdrehen, weil ich sonst schnurstracks zur anderen Seite der Straße gekommen wäre. Das wollte ich ja nun überhaupt nicht.
Mitten im Dickicht
So ging ich also zunächst einen kleinen Trampelpfad entlang. Links und rechts von mir sah ich die gerade „frisch gewaschenen“ grünen Blätter. Über einige strich ich vorsichtig mit den Fingern darüber: Es fühlte sich so glatt an, so rein. Ein moosbedeckter Baumstamm am Wegesrand erregte dann mein Interesse. Ich blieb eine Weile dort, fühlte das zarte Moos. Fühlte die Nässe und die Weichheit.






Gemütlich lief ich weiter bis ich irgendwann erneut an eine Weggabelung kam. Ich machte dort einen Augenblick Rast. Ein Baum diente mir als „Lehne“. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus. Einige Male spürte ich wie die Regentropfen auf den Blättern auf meinen Kopf fielen. Ich spürte und sah mit geschlossenen Augen aber auch Sonnenstrahlen, die sich durch die Bäume trauten. Aber vielleicht spielte sich das auch nur in meiner Vorstellung ab. Manchmal plätscherte es oberhalb von mir sehr stark, aber ein Regenguss kam nicht auf mich nieder – die Blätter hielten das Wasser auf.
Im Wald gibt es vorrangig zwei Farben: Grün und Braun. Diese üben nachweislich eine besondere Kraft auf uns aus.
So wird Grün mit Naturverbundenheit, Heilung, Harmonie und Ruhe in Verbindung gebracht. Es wirkt damit stressreduzierend und regenerierend. Dies stellte auch eine Studie von Ulrich (1984)1 fest: Allein der Blick auf grüne Naturbilder führte bei Patient:innen im Krankenhaus zu schnelleren Genesungszeiten und einem niedrigeren Verbrauch von Schmerzmitteln.
Braun steht – ganz im Sinne der Erde – für Stabilität, Bodenständigkeit, Geborgenheit und auch materielle Sicherheit. Es bietet Wärme und Schutz. Besonders für Menschen mit innerer Unruhe und Angstzuständen kann dies beruhigend wirken. Mit ein Grund dafür ist, dass erdige Töne weniger stimulierend wirken und zu einem Gefühl der Verlangsamung und Zentrierung führen können.
Schuhe aus – Abenteuer an
Auf einem kurzen Wegstück entschied ich mich nun, barfuß zu laufen. Die Schuhe baumelten in meiner rechten Hand und ich setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Wie beim Kinhin, dem meditativen Gehen im Zen, konzentrierte ich mich auf jeden einzelnen Schritt. Spürte unter mir den Untergrund und wie das noch nasse Laub sich an meine Füße schmiegte.
Mein Verstand sprach zu mir: „Wenn dir jetzt jemand entgegenkommt, was soll denn diese Person von dir denken?“ Ich hörte es, hakte es ab und ging weiter. Je mehr ich im Barfuß-Move war, desto weniger Aufmerksamkeit schenkte ich diesem Gedanken. Ich spürte einfach den Boden unter mir.
Nicht nur jetzt wortwörtlich, sondern auch im übertragenen Sinn, hatte ich Mut, den ersten Schritt zu wagen. Vieles kostet am Anfang Überwindung. Die Gedanken kreisen um alle Eventualitäten, die passieren könnten – aber wahrscheinlich nie eintreten. Und selbst wenn mich jemand „blöd“ anschaut, ist das auch nur ein Moment. Ein Moment, der so schnell wieder vergeht wie er gekommen ist. Nichts bleibt. Nichts ist dauerhaft. Nur eine Begegnung. Ein Windhauch.
In meinen Waldbaden-Kursen möchte ich auch dich ein Stück weit deines Weges begleiten. Ich möchte dir zeigen, wie du behutsam in deine Kraft kommst und den Wald als deine „Energietankstelle“ anzapfen kannst.
Was passiert beim Waldbaden mit der Nase?
Bei mir ist vermutlich eine verstopfte Nase Ausdruck einer inneren Anspannung, von Angst und von Stress. Der Volksmund spricht ja auch davon, dass man „die Nase voll hat“, wenn einem etwas nicht passt oder es einfach zuviel wird. Doch das löste sich schon dadurch, als ich vor einigen Wochen damit begann, mich jeden Tag im Zazen zu üben. Durch die Ent-spannung beruhigt sich der Vagusnerv, was den Cortisolspiegel nachhaltig sinken lässt2.
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Mehr InformationenDoch jetzt im Wald spürte ich noch deutlicher wie sich alles löste. Ich roch die frische Waldluft, die noch nassen Blätter und den zu Boden gefallenen Regen, der nun die Erde zum Duften brachte. Verantwortlich ist dafür auch durch bewusstes und tiefes Ein- und Ausatmen die Aufnahme von Terpenen.
Terpene sind Botenstoffe der Bäume, die diese aussondern, um andere Bäume vor Schädlingen, gefährlichen Pilzen oder anderen Gefahren zu warnen. Besonders nach Regen ist die Konzentration von Terpenen hoch. Diese nimmt der Mensch durch die Atmung auf und profitiert so von den gesundheitsförderlichen Effekten: So erhöhen die Terpene die Anzahl der Killerzellen, was die Immunabwehr stärkt, Blutzucker- und Cortisolspiegel werden ausgeglichen und der Blutdruck sinkt. Durch Hautkontakt mit den Bäumen wird dies noch verstärkt.
Nach dem Waldbaden spürte ich dies in einer verbesserten Ausdauer. Mein Nervensystem war nicht mehr im „Stressmodus“, sondern konnte die Energie gezielt an andere Stellen schicken, wo sie gerade dringender benötigt wurde.
Achtsamkeit beim Waldbaden
Schon beim Barfußlaufen achtete ich achtsam auf meine Schritte und meine Umgebung – nicht nur um alles um mich herum genau wahrzunehmen. Auch Gefahren, die möglicherweise am Boden lauerten, konnte ich so rechtzeitig erkennen. Achtsam im Wald zu sein, bedeutete für mich in dem Moment als ich auf einem mit Kies bedeckten Hauptweg ging, zudem auch, Abzweigungen zu erkennen, die zunächst vielleicht etwas unscheinbar wirkten.
Jeden Schritt überlegte ich mir sorgfältig. Manchmal musste ich mich dann auch gebückt durch ausuferndes Blattwerk von Bäumen auf einem schmalen Pfad fortbewegen. Sich durch das Gestrüpp zu kämpfen, hatte aber auch seine Schattenseite – der Verstand meldete sich wieder, der mir vorgaukelte die Orientierung verloren zu haben: „Wo bin ich denn hier überhaupt?“ Vielleicht war es das ungewohnte Terrain, auf dem ich mich bewegte.
Dort mitten im Wald und den beengten Platzverhältnissen hätte ich auch meinen Schirm keinesfalls aufspannen können.
Wie sich Waldbaden auf den Körper auswirkt
Sehr erstaunt war ich über die schon nach kurzer Zeit spürbaren körperlichen Auswirkungen des Waldbadens. Ich ging hinein mit einem stechenden Schmerz am linken Außenknöchel und kam heraus mit einem wohligen Gefühl im Fuß. Durch das Barfußgehen fühlte sich meine Fußsohle auch noch Stunden danach weich wie ein Baby-Popo an – trotz der Hornhaut an meinen Füßen.
Häufig werden von Orthopäd:innen bei Fußbeschwerden aller Art orthopädische Einlagen, Medikamente, Injektionen oder gar eine Operation empfohlen. Einlagen und andere Maßnahmen zementieren jedoch nur den Ist-Zustand und bekämpfen nicht die Ursache. In Einzelfällen mag dies die richtige Lösung sein, doch entstehen diese Beschwerden zum Großteil durch falsches Abrollen des Fußes und das dauerhafte Gehen in (falschen) Schuhen.
Dieses Gefühl legte sich allerdings am nächsten Tag wieder: Meine Fußsohlen fühlten sich jetzt wieder brennend, schwer und verhärtet an. Waldbaden ist also keine Angelegenheit, die man einmal macht und dann ist alles gut.
Was ich hieraus für meinen Alltag mitnehme
Der erste Schritt ist immer der schwerste und kostet mich Überwindung. So wie mit dem Barfußlaufen und dem Gedanken, was andere denken könnten, geht es mir oft in neuen Situationen. Es ist die Angst vor dem Unbekannten.
Dadurch, dass ich während meines ersten Waldbadens den Schritt gewagt habe, meine Socken und Schuhe auszog, ist zumindest ein Teil der „Mauer“ gefallen. Stück für Stück geht es vorwärts. Ängste lösen sich immer mehr auf und das Vertrauen in mich selbst kehrt zurück. Immer mehr gewinne ich an Mut, meinen eigenen Weg zu gehen, dessen Richtung ich selbst bestimme.
Die Natur lehrt mich dabei, dass Gut Ding Weile braucht. So wie ein Baum, der über Jahrhunderte hinweg immer weiter wächst, immer größer wird, geschieht auch Veränderung in mir nicht von heute auf morgen.
Der Verstand plappert natürlich unaufhörlich vor sich hin – meistens genau das, was nicht klappen könnte. Wenn es nach meinem Kopf ginge, dann würde ich in meiner bisherigen Komfortzone ewig verbleiben. Ohne einmal die eigenen Grenzen zu überschreiten, würde ich im Stillstand verharren. Doch das Schöne am Leben ist es doch, immer wieder neue Erfahrungen machen zu können, aus denen man gestärkt hervorgeht. Das Leben ist ein Spiel, und mitspielen und experimentieren ist ausdrücklich erlaubt.
Mutter Natur statt Vater Staat
Ich – und wir alle – brauchen den Wald, um uns immer wieder neu zu erden. Das sanfte Berühren der Rinde eines Baumes lehrt mich die Verletzlichkeit, die in allem Lebendigen steckt. Indem ich mich behutsam der Natur annähere, begegne ich auch der Gesellschaft in einem zunehmenden Maße solidarischer und freundlicher.
Jede:r bringt durch seine Biografie, die einzigartig ist, unterschiedliche Prägungen mit. Politische Einstellungen unterscheiden sich. Neurodiverse Menschen fühlen sich in unserer schnelllebigen Gesellschaft häufig überfordert. Doch anstatt immer nur auf Unterschiede zu schauen, sollten wir viel stärker die Gemeinsamkeiten betrachten – und dort, wo wir anders denken, handeln und fühlen vermehrt Brücken bauen anstatt sie einzureißen.
Denn Vater Staat und die Parteien unterschiedlicher Couleur heizen nur die Spaltung der Gesellschaft weiter an. Würden wir uns bewusst, dass wir im Grunde genommen eins sind, könnten uns Politik und Medien nicht mehr gegeneinander ausspielen. Wir würden erkennen, dass es nichts zu „leisten“ gibt, um zu sein.
Also besinnen wir uns alle wieder mehr auf Mutter Natur zurück, die uns ganzheitlich heilt. Ob es die Linderung von Schmerzen, die Förderung eines wachen Geistes, freies Durchatmen oder das Lösen von Stress und nervöser Anspannung ist – bei all dem hilft uns ein genüssliches Waldbad. Dann werden wir uns in einer Welt wiederfinden, die frei ist von Krieg, Hass und Hetze.
Quellennachweise
- Ulrich R. S. (1984). View through a window may influence recovery from surgery. Science (New York, N.Y.), 224(4647), 420–421. https://doi.org/10.1126/science.6143402 ↩︎
- Kim, C., Kim, J., Song, I., Yi, Y., Park, B.-J., & Song, C. (2023). The Effects of Forest Walking on Physical and Mental Health Based on Exercise Prescription. Forests, 14(12), 2332. https://doi.org/10.3390/f14122332 ↩︎
