Bereits in meiner Jugend Anfang der 2000’er-Jahre wurde man von allen Seiten mit sexuellen Inhalten bombadiert. „Sex sells“ – heißt es im Marketing-Jargon. Ganz natürlich wird in unserer Gesellschaft davon ausgegangen, dass sexuelle Anziehung „normal“ ist. Wenn man asexuell ist, gilt man ganz schnell als „Sonderling“. Dieser Artikel erzählt nun eine Geschichte davon, wie ich lernte, zu mir selbst zu stehen.

Sex war für mich (zunächst) nie ein Thema
In meiner Jugend hatte ich weder Interesse an gleich- oder gegengeschlechtlichen intimen Freundschaften. Der erste Sex? Für mich belanglos. Heute bin ich 38 Jahre und nach wie vor „Jungfrau“. Damals wie heute lese ich stattdessen Magazine wie DER SPIEGEL, National Geographic oder GEO. Meine Interessen liegen ganz einfach woanders: Tier- und Umweltschutz etwa. Oder Foto- und Videografie. Das Verstehen von (technischen) Dingen. Politik. Philosophie.
Erst als meine Mutter damals meinte, dass meine Lektüre nicht altersgerecht sei und andere in meinem Alter die Bravo lesen. Das habe sie damals doch auch gemacht. Und ich dann auch, weil es ja offensichtlich dazugehörte, sich mit Sex & Co. zu beschäftigen. Dass dort andere Jugendliche tabulos von ihrem ersten Mal berichteten und Spaß daran hatten, ließ mich dann jedoch ratlos zurück. Ich dachte, ich sei falsch, weil ich mit all dem nicht viel anfangen konnte.
Irgendwann fing ich dann an, selbst an mir herumzuprobieren. Die sexuelle Orientierung wie Asexualität hat nämlich mit dem sexuellen Trieb, einer ausgeprägten Libido oder Erregung nicht viel gemeinsam. Doch das Interesse daran flammte erst auf, als ich die Bravo regelmäßig las. Vermisst habe ich es vorher nicht.
Das Betrachten der Nacktfotos in der Bravo, das Masturbieren – all das fühlte sich für mich eher wie ein von außen auferlegter Zwang an. Mechanisch habe ich etwas ausgeführt, obwohl ich keinerlei sexuelle Anziehung verspürte – auch wenn ich Bilder, später auch Pornos, als „Anschauungsmaterial“ benutzte. Dieses und sexuelle Fantasien dienten lediglich dazu, eine körperliche Erregung herbeizuführen. Denn was blieb mir anderes übrig, als etwas, dessen Sinn ich nicht verstand, in Fantasien auszuleben. Den Drang, mit jemand anderem Sex zu haben, hatte ich nie. Sex ist für mich nach wie vor einfach die Möglichkeit sich fortzupflanzen. Wie Menschen darin ihre Erfüllung finden und das sogar als Spaß und Freizeitvergnügen empfinden können, ist mir ein Rätsel.
Asexuell, aber nicht emotionslos
Selbstverständlich verspüre ich zu manchen Mitmenschen eine gewisse Anziehung. Wäre das nicht der Fall, wäre ich wohl ein empathieloser Roboter sein, der einfach nur sein Programm abspielt. Wahrscheinlich ist das mit das größte Vorurteil, welches Menschen gegenüber asexuellen Personen haben.
Einige Beispiele aus meinem Leben wie sich Anziehung zu anderen bei mir äußert:
- 5. Klasse, 11 Jahre: Eine neue Mitschülerin kam in die vertraute Klassengemeinschaft. Ich fand sie gut aussehend, aber hatte keinerlei sexuellen Ambitionen hinter diesem Gedanken. Gut, vielleicht war ich zu diesem Zeitpunkt auch noch zu jung, um sexuelle Anziehung zu verspüren. Dennoch weiß ich heute, dass ich mich zu ihr ästhetisch hingezogen fühlte.
- Tagesstätte, 8-12 Jahre: Besonders gegenüber einem Jungen fühlte ich eine gleichgeschlechtliche Anziehungskraft von emotionaler Natur. Ich spürte zwischen uns eine tiefe Verbundenheit. Immer, wenn ich nach den Hausaufgaben für die Gruppe einkaufen durfte, wählte ich ihn als Begleitung aus. Wir unterhielten uns dann auch sehr gerne miteinander.
- Berufsvorbereitung, 20 Jahre: Ich lernte in dieser von der Agentur für Arbeit geförderten Maßnahme eine Teilnehmerin kennen, zu der ich mich ebenfalls emotional und sozial hingezogen fühlte. Wir verstanden uns einfach gut und telefonierten außerhalb und teilweise auch nach der Maßname miteinander – mehr wollte ich nie. An Sex mit ihr dachte ich nicht. Besonders faszinierend fand ich an ihr auch ihren alternativen Lebensstil als Punkerin.
Im Verlauf meines bisherigen Lebens gab es natürlich noch einige andere Menschen, zu denen ich mich platonisch, intellektuell oder anderweitig hingezogen fühlte. Sexuelle oder auch romantische Anziehung verspürte ich jedoch nie.
Sexuelle Anziehung? Keine Ahnung, wie sich das anfühlt!
Weder damals noch heute weiß ich, wie es sich anfühlt, sich sexuell zu einem anderen Menschen – ob nun gleich- oder gegengeschlechtlich – hingezogen zu fühlen. Welche Gedanken gehen einem da durch den Kopf?
Sehe ich z. B. in einer x-beliebigen Krimiserie eine Szene, in der Kommissar:in und Verdächtige:r gemeinsam im Bett landen, frage ich mich: „Was ist der Sinn dahinter?“ und „Was dachte sich jetzt der/die Drehbuchschreiber:in?“ Ich verstehe das einfach nicht. Ehrlich gesagt: Ich finde solche Szenen auch ziemlich unnötig. Und außerdem für mich auch maximal unangenehm.
Was ich stattdessen bevorzuge, sind Serien und Filme mit Tiefgang. Menschen, die über den Tellerrand hinausblicken. Mit denen man etwas erleben kann, was inspiriert oder zum Nachdenken anregt. Doch in einer sexualisierten Gesellschaft, in der nur Oberflächlichkeiten zählen, ist das gar nicht so einfach.
Überleben als asexuelle Person
Daher ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich als asexuelle Person mich in dieser Gesellschaft wenig integriert fühle.
Denn Tatsache ist doch, dass allosexuelle Menschen grundsätzlich davon ausgehen, dass sexuelle Anziehung der Standard ist. Auch wenn ich mich als agender bezeichne, so gelte ich als jemand mit einem männlichen Körper, der zum anderen Geschlecht „nur“ Freundschaft und tiefe Verbundenheit aufbauen möchte, als äußerst suspekt. „Da steckt doch bestimmt mehr dahinter“, so die Gedanken vieler.
Manch einer vermutet in meinem asexuellen Sein gar eine versteckte Homosexualität, die ich mir nicht eingestehen möchte.
In solchen Fällen mache ich mir nun also immer wieder bewusst, dass mein Fühlen absolut in Ordnung ist. Wenn andere Menschen sich so übergriffig verhalten und meinen, dass doch irgendetwas nicht stimme, dann liegt das Problem nicht bei mir. Das Problem sind die, die sich anmaßen, darüber urteilen zu müssen. Problematisch sind die, die andere Meinungen und Gefühle nicht zulassen.
Weitere Überlebenstipps für asexuelle Personen:
- Grenzen erkennen, setzen und kommunizieren: Das Erkennen eigener Grenzen ist die beste Möglichkeit sich vor Verletzungen zu schützen. Dazu ist es notwendig, sein Bauchgefühl, die Intuition, genauestens wahrzunehmen: „Wie fühlt sich das für mich jetzt an?“ Selbstverständlich braucht es dann den Mut diese Grenzen auch respektvoll anderen Menschen gegenüber klar zu kommunizieren. Aber das lässt sich lernen. Manchmal, wenn Grenzen nicht eingehalten werden, ist es wohl besser, sich von dieser Person zu distanzieren.
- Beziehungen nach eigenen Bedürfnissen definieren: Niemand muss sich vor anderen rechtfertigen, wie Freund- oder Partnerschaften gestaltet werden. Asexuelle Personen passen nicht in vorgegebene Muster – und dementsprechend sollten sie auch abseits gesellschaftlicher Normen ihre Beziehungen leben: Tue das, was sich für dich gut anfühlt.
- Safe Spaces finden: Gerade für Menschen, die in ihrem Denken und Fühlen von der gesellschaftlichen Norm abweichen, sind sichere Zufluchtsorte, die einen Austausch ohne Erklärungsdruck fördern, besonders wichtig. So steht auch das violett in der Flagge für asexuelle Menschen für die Community. Im virtuellen Raum bietet diese Möglichkeit Aspec*German.
- Medienkonsum bewusst gestalten: Ob in Social Media, Internet, Fernsehen oder Zeitschriften – Sexualität ist überall. Auch wenn wir vieles nicht beeinflussen können, wie Werbung im öffentlichen Raum, so können wir doch die Inhalte, die wir uns anschauen, gezielt auswählen. Inhalte, die Sexualität ins Zentrum stellen, werden in diesem Fall einfach gemieden.
Alles ist ein Spektrum!
Für mich stehen die Farben der Flagge für genau das, was das Mensch-Sein ausmacht: Dass alles im Leben ein Spektrum ist.
So steht schwarz für Asexualität, grau für Grey- bzw. Demi-Asexualität und weiß für Sexualität. Zwischen den beiden Extremen der A- und Allosexualität befinden sich noch zahlreiche Graustufen. Das (a-)sexuelle Spektrum zeigt mir eindrucksvoll auf, dass es im Leben mehr gibt als nur Schwarz und Weiß.