Aromantisch zu sein bedeutet keine romantische Anziehung gegenüber anderen Personen zu verspüren. In einer Gesellschaft, in der einem schon von früher Jugend an beigebracht wird, dass Dating & Co. zum Leben dazugehören, ist das für viele Menschen ziemlich unverständlich. Dieser Artikel versucht wesentliche Aspekte hierzu zu klären.

Was Dating (für mich) ist
Wenn normalerweise von Dating die Rede ist, dann versteht man hierunter das romantische Kennenlernen eines Gegenübers. Bei einem Candelight-Dinner. Im Mondschein – oder bei Sonnenuntergang am Strand. Es bedeutet, dem anderen über Blumen oder andere Präsente Aufmerksamkeit zu schenken.
Doch damit konnte und kann ich nicht viel anfangen. Klar, auch mich berührt der rot leuchtende Himmel am frühen Morgen, wenn ich aus dem Fenster schaue. Weil ich es ein wunderschönes Naturspektakel finde, das ich in seiner vollen Pracht genießen möchte. Würde ich nun zusätzlich einem Gegenüber meine Aufmerksamkeit schenken, dann könnte ich genau das nicht mehr. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich nicht einmal weiß, warum es solch besondere Momente braucht, um jemanden intensiv kennenzulernen.
Es sollte doch reichen, sich zusammenzusetzen und nett zu unterhalten. Gemeinsame Interessen zu entdecken. Daraus entstehen dann vermutlich die besten Freundschaften oder platonischen Partnerschaften.
Aromantisch in Partnerschaften
Genau hier liegt auch das Problem in unserer Gesellschaft, dass besonders eine Partnerschaft auf das romantische Beisammensein reduziert wird. Es wird verlangt, der Partnerin oder dem Partner regelmäßig seine Liebe zu bekunden. Ganz besonders natürlich am Valentinstag, dem kommerzialisierten „Tag der Liebe“.
Liebe wird somit auf etwas reduziert, das von außen kommt. Als ein x-beliebiges und austauschbares Geschenk, das schon andere ihren Partner:innen schenkten. Durch äußere Gesten wie Küssen oder Händchen halten. In einer auf Oberflächlichkeiten reduzierten Gesellschaft wird genau das in einer Beziehung erwartet – von der Partnerin oder dem Partner sowieso.
Aber was, wenn Liebe ganz anders zu definieren ist? Wenn Liebe nicht mehr gleichgesetzt wird mit Romantik oder Sex („Liebe machen“), dann entsteht ein ganz neuer Raum für ein zukunftsfähiges und menschliches Miteinander.
Denn wer seinen Mitmenschen liebt, tut ihm nichts Böses. […]
Römer 13,10 (Hoffnung für alle)
Das Wort Liebe, das an vielen Stellen in der Bibel zu finden ist, geht weit über die heutige weltliche Bedeutung hinaus. Im griechischen Original wird hierbei von agápē gesprochen. Agape ist die Liebe, die alle Menschen einschließt. Die Liebe, die darin aufgeht, sich gegenseitig im Mensch-Sein zu sehen – ohne „Schubladen“, ohne ein „funktionieren müssen“, ohne irgendjemand etwas zu beweisen. Dazu braucht es keine äußerlichen Gesten, sondern den Willen, dem Gegenüber zuzuhören, Beistand zu sein oder gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen – in der Gesellschaft, aber auch im Kleinen: in der Partnerschaft, in Freundschaften oder in der Familie. Das ist dann mehr wert als ein Kuss oder Blumenstrauß.
Früher war mehr Metta
Auch der Buddhismus versteht unter dem Begriff der Liebe etwas anders als es die westliche Welt tut. Metta wird dort als die liebende Güte bezeichnet. In einer der Lehrreden von Buddha1 beschreibt er diese wie die Liebe zur Mutter zum Kind. Dort, wo in der Regel noch wirkliche Liebe, frei von Bedingungen, gefunden wird. Diese bedingugslose Liebe soll nun auf die gesamte Menschheit ausgeweitet werden. Es geht hier nicht um romantische Beziehungen, sondern darum, wie es Buddha beschreibt, sein Herz zu weiten und frei von Hass und Feindschaft zu sein.
Es geht darum frei von Gier zu sein, dem Gegenüber nichts Übles zu wünschen, diesen nicht zu belügen oder zu hintergehen. Kurzum: Es geht darum, Interesse am Gegenüber zu zeigen, um Akzeptanz, Ehrlichkeit und Verbundenheit.
Aromantisch zu sein bedeutet für mich also nichts anderes, als genau diese liebende Güte wieder mehr zu kultivieren und in den Mittelpunkt zu rücken. All das romantische „Gesäusel“ ist dafür gar nicht notwendig. Was es vielmehr braucht sind ein mitfühlendes Herz, offene Ohren und eine sanfte Sprache.
Ob nun früher mehr Metta war, kann ich nicht beurteilen. Nach der Interpretation der Geschichte von Historiker:innen wohl eher nicht. Aber gerade dann liegt es nun an unserer Generation, genau diese Liebe in die Gesellschaft zu tragen.
Den Raum öffnen für Diversität
Wie ich bereits in meinem Artikel zur Asexualität schrieb, ist alles im Leben ein Spektrum. Nichts ist von Dauer. Nichts bleibt. Alles ist stetig im Wandel. Im Zen wird das als die Leerheit beschrieben, als ein Raum, der von uns gefüllt werden will.
Jede Flagge ist zunächst einmal ein Stück weißer Stoff. Erst mit Farben und Mustern wird diese mit Leben gefüllt. Manche Flaggen – wie etwa die von verschiedenen Staaten oder der EU – grenzen Menschen ganz bewusst aus, weil sie nur für einen ganz bestimmten Personenkreis gelten.
Die aromantische Flagge versucht hingegen, die Diversität in der Aromantik, aber auch der Welt abzubilden: Dunkelgrün steht für Aromantik und hellgrün für das aromantische Spektrum. Das Weiß steht für die Community an sich, aber auch für andere Formen der Anziehung, grau für gray- oder demiromantische Anziehung und schwarz für die Sexualität des Menschen. Es soll verdeutlichen, dass Menschen, die sich als aromantisch bezeichnen, in ihrer sexuellen Orientierung genauso unterschiedlich sind wie alloromantische Personen.
Die Flagge stellt also nicht nur Verbundenheit innerhalb der Community her, sondern zeigt auch auf, dass es so viele Möglichkeiten im (a-)romantischen Spektrum gibt wie es Menschen auf der Erde gibt. Dies zu erkennen und wertzuschätzen, ist wahrhaftig gelebtes Metta oder Agape.
Quellennachweise
- Metta-Sutta (oder: Die Lehrrede über die Liebe), aus dem Sutta-Nipāta, übersetzt von Sabbamitta, URL: https://suttacentral.net/snp1.8/de/sabbamitta ↩︎