In unserer schnelllebigen Zeit, in der jede:r jederzeit erreichbar zu sein hat, ist es umso wichtiger, sich einmal nur Zeit für sich selbst zu nehmen. Digital Detox bedeutet das Smartphone einfach einmal ausgeschaltet zu lassen. Plötzlich sind wir wieder mit uns allein. Was macht das mit einem? Und kann Digital Detox dabei helfen, bewusster mit moderner Technik umzugehen? Dieser Artikel verrät es.

04. Mai 2025: Anreise
Das Leben in vollen Zügen genießen – diese Redewendung bekam bei meiner Anreise zu den Zen-Einführungstagen des Benediktushofs in der Nähe von Würzburg eine wortwörtliche Bedeutung. Rechtzeitig am Hauptbahnhof in München angekommen, ergatterte ich noch einen der heiß begehrten Sitzplätze. Ich machte es mir schon mal gemütlich und stellte mir auf dem kleinen Tischchen meine soeben gekaufte Wasserflasche für die gut 4,5 Stunden dauernde Fahrt bereit.

So langsam füllte sich der Zug. Es gab noch freie Plätze, aber spätestens ab Augsburg wurde es immer voller. Ich schaute zu meiner Sitznachbarin gegenüber und zu dem Herrn, der neben mir saß: Sie scrollten durch ihr Handy oder schrieben Nachrichten. Kein Moment verging, an dem ich die beiden – und andere in dem Zugabteil – einmal nach draußen blicken sah.
Ich hingegen hatte mein Smartphone schon längst in meiner Jackentasche verstaut. Im Verlauf der Zugreise schaltete ich es irgendwann in den Flugmodus. Statt sinnlos die Zeit damit zu verschwenden, durch Nachrichten und Reels zu scrollen oder irgendwelche Spiele zu zocken, betrachtete ich die Landschaft. An mir zogen wunderschöne Rapsfelder vorbei. Ich sah grüne Wiesen, Äcker, Pferde auf einer Weide und manchmal sogar vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.
Digital Detox – das wurde mir bereits bei der Anreise klar – bedeutet nicht nur, einfach sein Smartphone beiseitezulegen. Es bedeutet vielmehr, seinen Blick wieder nach außen zu richten. Versunken in diesen Mini-Bildschirm haben wir es vermutlich alle verlernt, unsere Umgebung achtsam zu begutachten.
Diese erste Erfahrung machte mir deutlich, dass Digital Detox jedoch gar nicht so einfach ist. Es zeigte mir bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wie abhängig wir alle schon von diesen kleinen Geräten in unseren Hosentaschen sind. So recherchierte ich kurz vor Würzburg, welche Buslinie denn nun nochmal nach Holzkirchen fährt – und vor allem zu welchem Bussteig ich denn gehen muss.
Vom analogen zum digitalen Zeitalter
Als 1987’er-Geborener gehöre ich zur Gruppe der Millenials und kenne beide Welten: die analoge und die digitale. Wahrscheinlich war ich einer der ersten Digital Natives: Schon im Alter von 9 Jahren besaß ich einen Computer, mit 12 Jahren hatte ich mein erstes Handy. Und doch bin ich in einer Zeit aufgewachsen, in der ich wahrscheinlich eine simple Information wie die Zeit und den Ort der Abfahrt eines Busses damals einfach erfragt hätte.
Heute genügt ein Klick oder ein Fingertip, um an Wissen zu gelangen. Das trägt zu der sowieso schon vorherrschenden Vereinsamung nicht gerade positiv bei. Es wird sich über Followerzahlen definiert, aber wie viele davon zählen wirklich zu den Freunden? Menschen, mit denen man sich Face-to-Face treffen kann. Wen von diesen „Followern“ kann man wohl bei Problemen auch nachts um drei Uhr noch anrufen? In diesem digitalen Zeitalter geht so die Verbindung zueinander und die Menschlichkeit im Allgemeinen immer mehr verloren.
Knock-Out in der Stille
In Würzburg angekommen, gewusst welcher Bus wo abfährt, herrschte noch reges Treiben und Gewusel am Bahnhofsvorplatz. Je mehr ich nun mit dem Bus Richtung Holzkirchen, einem abgeschiedenen Dorf in ländlicher Umgebung, fuhr, desto stiller wurde es draußen. Nur der Motor des Busses brummte laut vor sich hin.
Vielleicht war es diese Stille, die mich so müde machte. In einer Großstadt wie München gibt es quasi keine ruhige Minute. Nichts steht irgendwann einmal komplett still. Gewohnt an die Hektik und den Lärm, war ich mit der Stille vollkommen überfordert. Und ich wusste nach dem Auspacken meines Koffers so gar nichts mit mir anzufangen. Eine zusätzliche Herausforderung war das durchgängige Schweigen auf dem Benediktushof in Holzkirchen.
Ich ging ein wenig über den Hof spazieren, um dann wieder auf meinem Zimmer zu landen. Ich wartete auf das Abendessen und starrte auf die weiße Wand. Dass ich in der ungewohnten Stille einfach einschlief, wusste ich noch nicht. Und dass ich das Essen verpassen sollte, erst recht nicht. Die Stille hat mich einfach ausgeknockt.
Gott sei Dank hatte ich noch von der Zugfahrt einen kleinen Imbiss bei mir.






05. Mai: Was Zen mit Digital Detox zu tun hat
Nach dem gestrigen Knock-Out ging es heute bereits sehr früh los. Im Schweigen praktizierten alle Teilnehmer:innen um 05.45 Uhr eine halbe Stunde lang Kinhin. Kinhin bedeutet im Zen-Buddhismus meditatives Gehen: „Wenn ich gehe, dann gehe ich.“ Nicht mehr. Nichts anderes. Nur gehen.
Einen analogen Wecker hatte ich mir extra mitgenommen, denn ich wollte mein Smartphone während der digitalen Auszeit auch nicht dafür benutzen. All die Zeit über nutzte ich als Wecker nur noch das Handy. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie mein Wecker überhaupt klingelt. Und ob er überhaupt noch funktioniert.
Ich hatte nun die Gelegenheit, mich während der Zen-Übungszeiten und fernab von allen Ablenkungen, mich wieder ganz auf mich zu konzentrieren. Sonst bin ich eher immer woanders. Bei den aktuellen Nachrichten. Bei den Brennpunkten dieser Welt. Dabei, was die politische und gesellschaftliche Situation weltweit für uns alle noch bringen mag. Aber ich merkte bereits nach den ersten Stunden, dass mir überhaupt nichts fehlt, wenn ich nicht fortlaufend über alles informiert bin.
FOMO („Fear of missing out“) ist die Angst, etwas zu verpassen. Bekannt wurde das Phänomen bereits 1996 durch den Marketingstrategen Dan Herman, als es zu einer verstärkten Nutzung von Mobiltelefonen, SMS und Social Media kam. FOMO geht mit einer erhöhten Stressbelastung, Erschöpfung und einer insgesamt niedrigeren Lebenszufriedenheit einher.
So war ich also mit mir selbst. Gut, der Tag war auch ziemlich durchgetaktet: Zazen, Kinhin, Samu. Dazwischen die Mahlzeiten. Aber es gab auch immer wieder Pausen. Momente, die sich für mich am Anfang als Großstädter ungewohnt anfühlten. Noch immer wusste ich in dieser Zeit wenig mit mir anzufangen.
Wenn die Zeit nicht vergeht
Ich saß dort auf einer Bank und beobachtete das Geschehen. Sah dem Wind zu, wie er durch die Blätter der Bäume rauschte. Die Zeit zog sich dabei in die Länge wie Kaugummi. Gefühlt kam mir eine halbe Stunde wie ein halber Tag vor. Mir wurde bewusst, wie sehr ich doch an die Ablenkung von außen gewohnt bin: Wenn auf mich ständig etwas einprasselt, bleibt keine Zeit, um abzuschalten. Vor allem aber verändert diese Dauerberieselung nachhaltig das Zeitgefühl.
Oft beschäftige ich mich mit dem, was sein könnte oder was einmal war. Ich bewerte die Vergangenheit; und erwarte etwas von der Zukunft. Im Zen-Buddhismus hingegen gibt es nur die Gegenwart. Es ist die unmittelbare Präsenz, die mich jede Sekunde umgibt.
Zen ist nicht etwas Aufregendes,
Shunryu Suzuki (japanischer Zen-Meister)
sondern Konzentration auf deine alltäglichen Verrichtungen.
Indem ich mich ständig beschäftigt halte, gibt es keinen Zeitpunkt mehr, indem ich einfach nur da bin. Dort, wo ich einfach nur sein kann – ohne etwas haben zu müssen oder etwas zu werden. Auf Dauer kann das sehr erschöpfen.
Mit diesem Drang nach Abwechslung und neuen Erlebnissen, wird dann alles, was auch nur irgendwie „langweilig“ wirkt, zu einer zermürbenden Erfahrung: Die Zeit will einfach nicht vergehen. Digital Detox und die tägliche Zen-Praxis helfen dabei, wieder bewusster sein Leben zu leben und zu gestalten.
Hunger? Hunger!
Aber vermutlich verändert sich durch die Dauerbeschallung nicht nur das Zeit-, sondern auch das Körperempfinden. So verspüre ich nach einiger Zeit des Zazen, des stillen Sitzens, ein flaues Gefühl in der Magengegend: Hunger.
Durch die Konzentration auf den Atem, auf Körpersignale und den jetzigen Moment, spüre ich erst wieder intuitiv meine Bedürfnisse. Der dauerhafte Lärm, die Geräusche um mich herum und die Lichtverschmutzung in einer Großstadt wie München führen dazu, dass mein Nervensystem überlastet ist. Der Hungergedanke tritt in den Hintergrund und es wird zu den üblichen Zeiten gegessen – ob es notwendig ist oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr.
Oder aber: Die Zen-Übung führt zu einer solchen Ent-spannung, einem Lösen von Spannungen in Körper und Geist, die es erst ermöglicht, sich selbst zu spüren. Diese Spannung, die im Körper ausgelöst wird durch die permanente Angst, etwas zu verpassen; die Angst, zu spät auf etwas zu reagieren.
Angst stammt von dem lateinischen Wort angustus (dt.: Enge) ab. Enge im Körper führt aber zu Spannung und einem Verlust von Weite. Der Magen verengt sich sozusagen, zieht sich zusammen und ist kaum noch spürbar.
06. Mai 2025: Abreise
Am Tag der Abreise stand noch einmal Samu, die einstündige Arbeit im und am Haus, an. Bei der Reinigung des Treppenhauses hatte ich dabei immer die Geschichte von Beppo Straßenkehrer im Kopf:
Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.
Aus dem Buch „Momo“ von Michael Ende
Fiel mir das am ersten Tag meines Aufenthalts noch leicht, merkte ich jetzt, wie ich versuchte gegen die Zeit anzukämpfen. Ich musste doch auch noch bis neun Uhr mein Zimmer räumen. Und obwohl ich meinen Koffer am Vorabend schon packte, kam in mir Stress auf: „Schaffe ich wohl alles?“, „Werde ich rechtzeitig mit allem fertig?“ – die Gedanken zogen nur so vorbei. Das Zitat aus dem Buch von Michael Ende – immer nur an den nächsten Schritt zu denken – verblasste so immer mehr. Ich war mit meinen Gedanken wieder in der Zukunft.
Ich hetzte mich ab, weil ich an die ganze Treppe, an die zwei Stockwerke, dachte, die ich zu reinigen hatte. Es schien mir viel zu viel, um das alles in dieser kurzen Zeit zu erledigen. Da war sie also wieder: die Angst davor, etwas zu verpassen (oder es nicht rechtzeitig zu schaffen). Die ständige Verfügbarkeit durch Smartphone & Co. suggeriert mir, dass alles schnell gehen muss. Dass keine Zeit dafür ist, etwas in Ruhe zu machen, weil das Alte bald schon wieder durch Neues abgelöst wird.
Digital Detox ade?
Nach der Zen-Praxis und dem anschließenden Mittagessen war es also so weit. Ich schnappte mir meinen in einem hinteren Raum platzierten Koffer und ging nach draußen. Noch immer praktizierte ich Digital Detox und wartete. Bis mein Bus nach Würzburg kam, hatte ich noch gut 1,5 Stunden Zeit. Ich setzte mich im Hof auf eine Bank, hörte dem Plätschern des Wassers zu, beobachtete die kleinen Goldfische, wie sie ihre Runden zogen. Ich schien mich an die Langsamkeit gewöhnt zu haben, denn die Zeit verging diesmal wesentlich schneller.
Später wurde ich jedoch wieder leicht nervös, als der Bus sich um einige Minuten verspätete. „Werde ich wohl meinen Zug schaffen?“ – die Angst, etwas zu verpassen. Und vielleicht auch davor, erneut zwei Stunden zu warten. Dass ich diese Wartezeit auch für mich nutzen könnte, kam mir in dem Moment nicht in den Sinn. Dass ich überhaupt nicht wissen könne, ob ich es schaffe oder nicht, aber auch nicht.
Dann endlich saß ich in dem wie bei der Hinfahrt überfüllten Zug. Irgendwann schaltete ich mein Handy wieder ein: Das Interesse, zu wissen, was in diesen drei Tagen passiert ist, war zu groß. Es gab einige E-Mails – nichts wichtiges. Ich erfuhr davon, dass Friedrich Merz gerade im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler gescheitert ist. Waren es diese Informationen nun wert, dass ich sie jetzt wissen müssste? Ich denke nicht. Reagieren konnte ich auf die E-Mails jetzt auch nicht.
Was ich aus meiner Erfahrung mitnehme
Die Stille zu genießen und in ihr einzutauchen, ist eine wohltuende Erfahrung. Dadurch, dass ich den Blick wieder vermehrt nach außen richtete, fielen mir Dinge auf, die ich sonst vermutlich nie wahrgenommen hätte. Meine Konzentration nach innen, auf mich selbst, ließ mich meinen Körper erspüren.
Der größte Mehrwert besteht jedoch darin, dass ich wieder mit mir allein bin. Digitale Tools und KI erleichtern mir definitiv die Arbeit, aber allzuoft gerät das selbständige Denken in den Hintergrund. Allzuoft orientiere ich mich an aufgehübschten Reels und YouTube-Videos, die (meistens) alles andere als echt sind, und verliere dabei das aus den Augen, was mir wirklich wichtig ist.
In der Stille und ohne Ablenkung von außen werde ich mir meiner Ziele bewusst. Neuartige Ideen und zum Ziel führende Impulse entstehen häufig erst dann, wenn ich nicht ständig abgelenkt werde.
Nicht umsonst gehen Schriftsteller:innen bei Schreib- und Kreativblockaden in die Stille, abseits von jeglicher Technologie, um neue Ideen zu gewinnen.
Digital Detox im Alltag
- Überlege dir, welche Apps du installiert hast. Brauchst du wirklich alle davon? Wenn nein, dann lösche gnadenlos alles, was unnötig ist.
- Beschränke deine Verfügbarkeit. Musst du unbedingt sofort wissen, wenn eine neue E-Mail eingeht? Oder reicht es vielmehr, diese zuhause am Laptop abzurufen? Brauchst du die E-Mail-App wirklich?
- Fange an, deinen Smartphone-Screen neu zu ordnen:
- Platziere auf dem ersten Screen keinerlei Apps.
- Auf den zweiten Screen packst du einzeln die Apps, die du häufig nutzt.
- Auf dem dritten Screen erstellst du Ordner (z. B. „Social Media“, „Fitness“) und packst dort die jeweiligen Apps hinein.
- Schalte deine Benachrichtungen aus. Die kleinen Kreise mit den Zahlen darin symbolisieren, dass noch etwas unerledigt ist. Das löst in dir unnötig Druck aus. Auch die ständige Benachrichtigung von Apps kann belastend sein und ist häufig auch nicht wirklich sinnvoll. Setze dir stattdessen bewusst Zeiten, in denen du deine Nachrichten beantwortest. Ist etwas so wichtig, dass es nicht warten kann, gibt es jederzeit die Möglichkeit eines Anrufs.
- Dosiere deinen Nachrichtenkonsum. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, sich über das aktuelle Weltgeschehen zu informieren. Aber häufig wirst du permanent damit zugedröhnt. Nachrichten-Apps können nützlich, aber auch belastend sein. Überlege dir also, ob du das wirklich möchtest. Oder reicht es vielleicht auch abends die Tagesschau zu schauen?
- Halte die Nachtruhe ein. Jedes moderne Smartphone besitzt heute die Möglichkeit, jegliche Apps für einen bestimmten Zeitraum zu deaktivieren. Bei mir ist dies täglich von 20 bis 7 Uhr der Fall. Wenn du den Entsperr-Code von einer guten Freundin oder einem guten Freund einrichten lässt, dann kannst du die eingerichtete Bildschirmzeit sogar nicht so leicht umgehen.
Pro-Tipp: Mit meinen regelmäßig stattfindenden Waldbaden-Kursen – ob mit oder ohne Elemente aus der Zen-Praxis – kannst du eine gewisse Zeit in Stille und Gemeinschaft dich nur der Natur und dir selbst zuwenden.
Allein das hilft mir schon sehr, Digital Detox zumindest in Ansätzen in den Alltag zu integrieren. Probiere es selbst aus – du wirst begeistert sein!