Sascha Rakers

Achtsam leben. Kreativ erzählen. Verbunden wirken.

Schwarz-weiß-Porträt eines Mannes mit Brille und Hemd, der lächelnd in die Kamera blickt.

Eine neue Sichtweise auf die Arbeit

Arbeit – die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Viele definieren sich darüber. Wenn jemand gerade keine Arbeit hat, fühlt sich diese Person oft minderwertig und von der Gesellschaft nicht nur finanziell ausgeschlossen. Wie sich in der Stille, meine Sichtweise zur Arbeit massiv verändert hat, erfährst du in diesem Artikel.

Die Silhouette eines Mannes mit Wischmopp an einer offenen automatischen Schiebetür aus Glas mit Beschriftung, der in der Reinigung des Bodens seine Arbeit verrichtet.
Foto: Gil Ribeiro – Unsplash

In die Stille zu gehen, auf moderne Geräte in dieser Zeit zu verzichten, bedeutet für mich, endlich wieder einmal Zeit für mich zu haben. Für meine Gedanken und neue Impulse, die zu kreativen und ungewöhnlichen Einfällen führen. Allzuoft werde ich von all dem ganzen „Bling-Bling“ um mich herum, von dem Mini-PC in meiner Hosentasche, von meinem eigenen Wesen und meinen Ideen abgelenkt. Ich werde darauf getrimmt, so zu sein wie alle anderen – unkonventionelle Meinungen gelten in der Gesellschaft als „aufrührerisch“.

Wortbedeutung und Ursprung von Arbeit

Wenn du an Arbeit denkst, was fällt dir als erstes ein? Vielleicht Geld verdienen, Lebensunterhalt, Pflichterfüllung, Abhängigkeit. Aber möglicherweise auch so etwas wie Selbstverwirklichung. Einen Sinn in seinem Tun finden. Jede Antwort ist individuell. Jede:r verbindet etwas anderes mit Arbeit.

So geht der deutsche Philosoph Otfried Höffe davon aus, dass „Arbeit“ ursprünglich aus dem lateinischen Wortschatz abgeleitet ist: „arvus“ steht für Ackerland und die Bearbeitung dessen durch den Menschen.

Wolfgang Pfeifer, deutscher Germanist und Linguist, geht hingegen viel eher davon aus, dass das Wort „Arbeit“ aus der germanischen Sprache („arbejioiz“; dt. Mühsal, Anstrengung) entstammt. Später ging dieses über in das althochdeutsche Wort „arabeit“ mit der selben Bedeutung. Beide Erklärungsversuche haben mehr gemeinsam als zunächst im ersten Moment sichtbar ist.

Nach christlicher Überlieferung soll Gott nach dem Sündenfall die Arbeit zur Bedingung für den Menschen gemacht haben:

[…] Deinetwegen soll der Ackerboden verflucht sein! Dein ganzes Leben lang wirst du dich abmühen, um dich von seinem Ertrag zu ernähren. […] Du wirst dir dein Brot mit Schweiß verdienen müssen, bis du stirbst. […]

Hoffnung für alle, 1. Mose 3,17+19

Ob du nun an Gott glaubst oder nicht: Der frühe Mensch hat sich überwiegend vom Ackerbau ernährt. Schon immer war die Menschheit darauf angewiesen, mit eigenen Händen etwas zu erschaffen, um zu überleben. V. a. zu Beginn, als es noch keine (technischen) Hilfsmittel gab, war das recht beschwerlich. Ackerbau war Arbeit. Und Arbeit war mit Mühsal und Not verbunden.

Selbstverwirklichung oder notwendiges Übel?

Heute sucht ein Großteil der Menschen nach einer sinnerfüllten Arbeit. Jede:r möchte sich selbst verwirklichen. Sinnloses Tun führt zu Langeweile – und das zu einem Boreout. Nicht ein „zu viel“ führt zur Erschöpfung, sondern ein „zu wenig“ an sinnvollen Aufgaben. Viele der bestbezahlten Jobs sind dem Begriff der Fake Work zuzuordnen. Es fühlt sich wie Arbeit an, aber hat in Wirklichkeit keinen echten Mehrwert für Gesellschaft und Unternehmen.

David Rolfe Graeber (1961-2020) beschrieb solche Arten von Jobs in seinem 2018 in englischer Sprache erschienenen Buch Bullshit Jobs: A Theory.

Davon abzugrenzen sind die Shit Jobs. Diese sind sehr wohl sinnbehaftet, aber schlecht bezahlt – etwa in der Reinigung oder Altenpflege.

Graeber nennt in seinem Buch fünf Typen von Bullshit-Jobs:

  • Lakaien (flunkies) repräsentieren ein Unternehmen, ihre Vorgesetzten und damit deren Status (z. B. Assistent:innen der Geschäftsführung)
  • Schläger (goons) wollen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen erreichen, um den Umsatz zu erhöhen (z. B. PR-Expert:innen, Lobbyist:innen oder Firmenanwält:innen)
  • Flickschuster (duct tapers) finden kurzfristig und vorübergehend Lösungen für ein Problem, nur um etwas später Lösungen für ein Problem zu finden, welches erst dadurch aufgetreten ist (z. B. Berater:innen)
  • Kästchenankreuzer (box tickers) sind vermutlich besonders in Deutschland und seiner überbordenden Bürokratie sehr häufig anzutreffen (z. B. Verwaltungsangestellte beim MDK)
  • Aufgabenverteiler (task masters) sind v. a. im mittleren Management anzutreffen und dienen vorwiegend zum Aufbau einer geradlinigen Hierarchieebene (z. B. Teamleitung)

Solche Arbeiten führen selten zur Selbstverwirklichung und haben auch nicht mehr viel gemeinsam mit der ursprünglichen Bedeutung von Arbeit und der Mühsal, die dahinter steht. In Bullshit Jobs geht es ausschließlich darum, Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen und Menschen zu „verwalten“.

Hauptsache Arbeit!

Manche mögen jetzt einwenden, dass es doch egal sei, was man arbeite: Hauptsache die Bezahlung stimmt. Wenn Arbeit auf den Zweck des Gelderwerbs reduziert wird, mag das stimmen. Und dennoch ist die Aussage „Hauptsache Arbeit!“ in gewisser Weise doch wahr, wenn sie im Licht des Zen betrachtet wird.

Im Zen gibt es die Praxis des Samu. Dabei ist es tatsächlich nicht wichtig, was man tut, sondern wie man etwas tut – nämlich achtsam, bewusst und mit voller Hingabe an die einem übertragene Tätigkeit. Ob du nun in der Küche Spargel schälst, den Garten in Ordnung hältst, für Sauberkeit im Haus sorgst oder auf dem Acker Kartoffeln erntest, macht keinen Unterschied. Auch Bullshit Jobs können natürlich achtsam und bewusst ausgeführt werden, wodurch sie aber nicht sinnvoll werden.

In unserer modernen Gesellschaft gelten aber gerade solche Bullshit Jobs als höherwertig, weil sie das Ego einiger weniger Menschen aufpolieren. Menschen erachten sich als wertvoll, wenn sie für die hoch angesehene Geschäftsführung Aufgaben erledigen, die diese auch selbst übernehmen könnte, wenn sie andere Angestellte herumkommandieren oder im Marketing den Schein wahren können.

Hingegen gelten Berufe besonders in der Gebäudereinigung als minderwertig: „Putzen kann ja wohl jede:r.“ Obwohl es genau diese Arbeiter:innen sind, die Bullshit Jobs erst möglich machen, denn was würde wohl passieren, wenn Büros plötzlich nicht mehr gereinigt werden?

Ganzheitliche Achtsamkeit beim Putzen

Und gerade in der Reinigungsbranche ist Achtsamkeit ein wesentliches Element in der Berufsausübung. In der stillen und schweigsamen Treppenhausreinigung meines Aufenthalts im Benediktushof wurde mir dies eindrücklich bewusst.

Erst hier spürte ich wie wichtig Achtsamkeit mit sich selbst, anderen und der Umgebung ist. Ich musste auf jede einzelne Treppenstufe achten, um nicht versehentlich einen falschen Schritt zu machen und nach unten zu fallen. Gleichzeitig musste ich achtsam sein in Bezug auf die gründliche Reinigung des Treppenhauses, um kein Staubkorn zu übersehen. Ich musste die Menschen um mich herum beachten, die an mir während des Putzens vorbeiwollten.

Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass jede Arbeit, die dem Gemeinwohl dient, gleich-gültig ist. Alles hat die selbe Gültigkeit. Die Unterteilung in Hilfs- und Fachkräfte existiert nur in unserer Gesellschaft, um unterschiedliche Gehälter rechtfertigen zu können. Es hat aber nichts mit dem Wert von Arbeit an sich zu tun.

Ein Mönch fragte Jôshû: „Gerade bin ich erst in dieses Kloster eingetreten. Ich ersuche Euch, Meister, gebt mir bitte Unterweisung!“ Jôshû sagte: „Hast du schon den Reisbrei gegessen oder nicht?“ Der Mönch sagte: „Ja, den Reisbrei habe ich gegessen.“ Jôshû sagte: „Wasche die Essschalen.“

Aus Mumonkan, Fall 7

An sich ist also keine Arbeit wertvoller als die andere; an sich ist keine Arbeit langweiliger als die andere. An sich ist nicht jede Tätigkeit gleich mühselig. Die Arbeit an sich ist leer. In ihr ist nichts, was von Dauer ist.

Selbstverwirklichung in der Leerheit

Wenn aber nun jede Arbeit an sich leer ist, dann kann in ihr auch keine Selbstverwirklichung stattfinden. Und welches Selbst soll überhaupt verwirklicht werden, wenn selbst das Selbst leer ist? Suchen wir nach Selbstverwirklichung, dann haften wir immer noch dem Ich an und glauben immer noch, dass das Ich weiß, was der Sinn des Lebens ist. Daraus entsteht Leiden. Wir leiden daran, weil wir immer auf der Suche nach dem „Mehr“ sind.

Sollten wir als Gesellschaft aber nicht viel eher dazu übergehen, wieder mehr im Einklang mit der Natur und allen Lebewesen zu leben anstatt auf „endloses“ Wachstum zu schielen? Wieder von unserer eigenen Hände Arbeit leben? Dafür Sorge tragen, dass das was nötig ist, auch getan wird – ohne irgendwelchen Schnick-Schnack, ohne Bullshit Jobs? Ohne besserwissende Anzugträger?

Tu was du kannst,
mit dem was du hast,
dort wo du bist!

Aus einem Glückskeks

Ohne Profitstreben und mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das für ein auskömmliches Leben sorgt, kann sich jeder Mensch wieder auf die wesentliche Arbeit konzentieren, damit alle in gleicher Weise von allem profitieren: die Nahrungsmittelbeschaffung und -produktion, die Trinkwasserversorgung, dem Nähen von Kleidung, der Straßenreinigung oder der Entsorgung von Müll – zum Wohle der gesamten Menschheit im jeweiligen Land.

Solidarische Hilfe in allen Bereichen der Daseinsversorgung stärkt nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern löst auch viele Probleme wie von Geisterhand. Wenn etwa Nahrung regional angebaut, produziert und konsumiert wird, gibt es keine Probleme mehr mit der imperialistischen Ausbeutung anderer Länder, Menschenrechtsverletzungen oder dem Welthunger.

In meinen regelmäßig stattfindenden Waldbaden-Kursen – mit und ohne Elemente aus der Zen-Praxis – kannst du direkt eintauchen und die Verbundenheit zu allem mit allen Sinnen spüren und die Heilkraft einer sich unterstützenden Gemeinschaft und der Natur entdecken.