Darum hat Merz der Demokratie geschadet

Foto: Robert Anasch – Unsplash

Am 29. Januar 2025 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Alternative für Deutschland einen Entschließungsantrag zur Asyl- und Migrationswende. Bereits dieser Tag wird als einer der dunkelsten in die Historie eingehen. Ich berichtete hier darüber. Doch mit dem Gesetzentwurf, den die CDU/CSU-Fraktion unter Friedrich Merz am Freitag, den 31. Januar 2025, einbrachte, hat er nicht nur der Demokratie massiven Schaden zugefügt.

Die Entmenschlichung von Migrant:innen

Zuallererst einmal half Merz dabei, schutzbedürftige Personen zu entmenschlichen und als ein „Ding“, eine x-beliebige „Verfügungsmasse“, zu sehen. Denn allein der Name des von seiner Fraktion eingebrachten Gesetzes, lässt erahnen, dass der Mensch als bewusstes Wesen – ganz gleich, ob nun Einheimische:r oder Migrant:in, keinen Wert hat, der in sich selbst begründet ist. Es offenbarte die Geisteshaltung der CDU/CSU, die dem der Alternative für Deutschland (AfD) in nichts nachsteht: Der Mensch ist nur dann etwas wert, wenn er etwas leistet. Was bedeutet schon Gleichberechtigung? Was zählen schon Menschenrechte?

„Zustrombegrenzungsgesetz“. Der Name nicht nur fein säuberlich im bürokratischsten Deutsch verfasst, sondern auch die Reduktion von Geflüchteten auf das Wort „Zustrom“. Es handelt sich hier um Menschen, die teils unter schweren Bedingungen und größten Strapazen nach Deutschland gekommen sind. Frauen und Kinder, die noch immer in der ehemaligen Heimat dieser Menschen auf Hilfe warten. Menschen, die sich Freiheit, Sicherheit, Frieden und einfach Mensch-Sein wünschen.

Was soll daran falsch sein, Familien wieder zusammenzuführen? Kinder aus Kriegsgebieten in Sicherheit zu bringen, ihnen weitere schwere Traumata zu ersparen? Einfach wieder den Mensch in den Mittelpunkt allen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Handelns zu stellen? Die Tatsache ist doch, dass Nationalität, Geschlecht oder andere unwesentliche Kategorisierungen einem alten „Schubladendenken“ entsprechen. Betrachten wir hingegen unser Sein aus einer Meta-Ebene, so sind all das nur Worte, die in sich jedoch leer sind. Wenn wir einmal sterben, was bleibt von der Nationalität, vom Geschlecht, weltlich betrachtet noch übrig? Letztendlich nur Staub und Asche.

Unser physischer Körper wird eines Tages zerfallen. Dann sind wir tatsächlich alle gleich: Staub ist Staub ist Staub. Unser Bewusstsein wird in der unendlichen Weite des Universums verbleiben und dort eingebettet sein. Dieses umfassende Bewusstsein, welches Eins ist und mit allem verbunden ist. Es gibt somit in zweierlei Hinsicht keinen Grund dafür, in „die da“, die Migrant:innen, und „denen“, der einheimischen Bevölkerung zu unterscheiden. Sowohl körperlich bestehen wir aus denselben Molekülen, stammen alle von der selben Spezies ab, als auch geistig und spirituell sind wir alle als Menschheit jetzt und auch nach unserem Tod mit dem einen umfassenden Bewusstsein verbunden. Ganz gleich, ob wir dieses als Gott, Allah, Jahwe oder anderweitig bezeichnen, denn auch diese Bezeichnungen sind letztendlich leer.

Friedrich Merz und die Instrumentalisierung von Gewalttaten

Aber warum sind wir eigentlich heute hier? Warum diskutieren wir eigentlich über ein Gesetz zur Begrenzung des Zustroms in die Bundesrepublik Deutschland? Und Herr Kollege Mützenich, es ist auffallend gewesen in Ihrer Rede, Sie haben nicht mit einem einzigen Wort über die Opfer der Anschläge und Attentate der letzten Tage und Wochen gesprochen. Das ist der Grund, warum wir heute hier vor einer weiteren Abstimmung stehen.

Aus der Rede von Friedrich Merz vor dem Deutschen Bundestag, 31. Januar 2025, Quelle: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw05-de-zustrombegrenzungsgesetz-1042038

Dieses politische Ausschlachten von tragischen Ereignissen, die ihren Höhepunkt in der Ermordung eines wehrlosen Kindes endete, macht die AfD seit Jahren und weist auf das Versagen der Politik fortlaufend hin. Etwa indem Alice Weidel ein Ende der „Brandmauertoten“ gefordert hat. Oder 2016 zu den Übergriffen in Köln, wie DER SPIEGEL berichtete. In die selbe Kerbe springt jetzt auch Friedrich Merz.

Bereits einen Tag nach dem Anschlag in Aschaffenburg stellte er sich vor die Presse und kramte seinen 5-Punkte-Plan hervor. Merz instrumentalisiert diese Gewalttat für seine eigenen Zwecke, für den Wahlkampf. Er schert damit alle schutzbedürftigen Menschen über einen Kamm und unterstellt ihnen Gefährlichkeit. Merz greift die Angst in einem Teil der Bevölkerung auf, um auf dem Rücken der Schwächsten menschenverachtende Politik zu betreiben.

Sprachlich ungenau oder Absicht?

Nebenbei spielt er gezielt den Teil der Bevölkerung, der sich zurecht aufgrund des zunehmenden Rechtsrucks in Politik und Gesellschaft und einer damit einhergehenden Schwächung der Demokratie sorgt, gegen den Teil aus, der sich geschlossene Grenzen und einen Migrationsstopp wünscht. Merz in seiner Rede: „Da sind viele dabei, die mögen um die Stabilität unserer Demokratie besorgt sein. Aber da sind mindestens genau so viele dabei, die um die Sicherheit und um die innere Ordnung unseres Landes besorgt sind. Und diese Menschen erwarten zurecht von uns Entscheidungen.“

Möglicherweise mag das eine sprachliche Ungenauigkeit sein, die Merz im Eifer des Gefechts von sich gab. Nach dem gezielten Suchen von Mehrheiten für seinen rechtlich nicht einmal bindenden Entschließungsantrag am vorherigen Mittwoch jenseits der politischen Mitte bei der AfD und der Tatsache, dass ich Friedrich Merz als durchaus begabten Redner halte, erscheint mir das äußerst unwahrscheinlich. Eher ist es ein Fischen am rechten Rand in Zeiten des Wahlkampfes, um die AfD klein zu halten.

Merz formuliert die Sorge der Menschen vor einer instabilen Demokratie als eine Möglichkeit („mögen … besorgt sein“). Hingegen wird die Sorge um die innere Sicherheit als Feststellung formuliert („die … besorgt sind“) und deren Sorgen gleichzeitig höher gewichtet. Es wirkt so, als ob der Wunsch der Menschen nach Sicherheit gegenüber der Brandmauer zur AfD als wichtiger einzuordnen ist.

Das Gift, das die AfD subtil, schleichend und in sektiererischer Manier bereits versprüht hat, macht sich aber auch im allgemeinen Wortgebrauch sichtbar. Der Begriff „illegale Migration“ ist schon immer ein rechtspopulistischer und rechtsextremer Kampfbegriff gewesen, der längst von vielen Parteien der demokratischen Mitte übernommen wurden. Auch Merz verwendete am 29. Januar 2025 in seiner Rede diesen Begriff, andere formulieren es (noch) vorsichtiger als „irreguläre Migration“. Aber kein Mensch ist illegal. Jede:r ist willkommen, und Schutz- und Hilfebedürtige gerade besonders.

An den Problemen vorbeigeredet

Was in der Debatte um eine schärfere Asyl- und Migrationspolitik immer wieder vergessen wird, ist die offenkundige Tatsache, dass geschlossene Grenzen, die Zurückweisung „illegaler“ Migrant:innen an der Grenze oder die Aussetzung des Familiennachzugs nichts an den Problemen ändern wird. Geflüchtete sind aufgrund der Lage in ihrem Heimatland, aus dem sie genau deshalb einst geflohen sind, häufig traumatisiert. Sie waren Terror, Gewalt oder Vertreibung ausgesetzt. Diese Menschen kommen nun hier in einem Land an, welches ihnen keinerlei Perspektive bietet.

v.l.n.r.: Sascha Rakers, Alp Sezen, Thomas Kaukal, Gisela Krziwon

An dieser fehlenden Perspektive für Migrant:innen und vor allem auch „Geduldete“, die aus welchen Gründen auch immer nicht in ihre Heimat zurückgeführt werden können, hat sich seit dreizehn Jahren nichts verändert. Das war schon 2012 so, als ich als Mitglied der Piratenpartei die Gemeinschaftsunterkunft in Dachau mit zwei Regierungsvertretern besuchte. Noch immer gibt es die räumliche Beschränkung (Residenzpflicht) mit der Unterbringung in diesen Unterkünften.

Und selbst wenn Geflüchtete ausziehen dürften, fällt es ihnen schwer, eine passende Wohnung zu finden – sei es aufgrund des sowieso herrschenden Wohnungsmangels oder weil Vermieter:innen Migrant:innen wie auch Arbeit suchende Menschen, Bürgergeld-Empfänger:innen oder Rentner:innen, die zusätzlich Grundsicherung erhalten, auf dem Wohnungsmarkt massiv diskrimieren.

Noch immer liegen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) deutlich unter den Sozialhilfesätzen und können als Sachleistung ausbezahlt werden. Migrant:innen sind immer noch neun Monate nach Ankunft mit einem generellen Arbeitsverbot belegt. Bayern schikaniert diese Menschen sogar noch mehr; „Geduldete“ sind sowieso nahezu rechtlos. Dazu kommt eine mangelhafte psychoziale Betreuung von Geflüchteten. Selbst psychisch erkrankte Menschen, die hier geboren und heimisch sind, haben es schwer einen für sie passenden Psychotherapieplatz zu finden.

Wir haben hier also Menschen, traumatisiert von Flucht und den Geschehnissen in ihrer Heimat, in einer viel zu eng bemessenen Gemeinschaftsunterkunft ohne Arbeit und Geld sitzen. Menschen, die im Grunde nichts dürfen außer zu warten, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde oder sie „endlich“ zurückgeführt werden können. Sie leben in einer Unterkunft mit vielen anderen Migrant:innen, die ebenfalls traumatisiert sind. Natürlich kommt es da machmal zu Reibereien. Selbst Menschen, die nicht traumatisiert sind, neigen zu Streitereien – ganz besonders, wenn diese zu lange auf engstem Raum zusammenleben.

Und irgendwann kommen Straftaten hinzu, in seltenen Fällen auch Anschläge. Nicht weil diese Menschen von Grund auf böse wären, sondern weil ihnen keinerlei psychologische Hilfen und keine Perspektive geboten werden. Wenn ich den ganzen Tag nur herumsitzen würde, mit anderen auf engstem Raum, auf das Wohlwollen des aufnehmenden Staates angewiesen, täglich von Diskriminierung und rassistischen Übergriffen betroffen bin, dann würde ich wahrscheinlich auch irgendwann durchdrehen.

Pflicht zur Hilfe statt Ausgrenzung

Als privilegierte Bürger:innen sind wir verpflichtet, diesen Menschen und anderen diskriminierten Gruppen wie Behinderten, ärmeren Menschen, queeren Personen zu helfen. Migrant:innen, die vom ersten Tag ihrer Ankunft arbeiten gehen können, hätten nicht nur eine Aufgabe, sondern würden zudem wirklich in die Gesellschaft integriert. Sie könnten Deutsch ganz praktisch erlernen. Diese Menschen könnten so auch die heimische Wirtschaft stärken. Es müssten weniger Sozialleistungen ausbezahlt werden, sodass mehr Geld für alle übrig bleibt. Wir brauchen aber auch mehr psychologische Hilfen – nicht nur für Geflüchtete.

Wenn wir den Artikel 1 unseres Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – wirklich ernst nehmen, dann müssen wir alle eingestehen, dass die Würde unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Bildungsstand, Status oder anderen Kategorien besteht.

Schwächung der demokratische Mitte

Der Versuch, die AfD klein zu halten, ging nach hinten los. Friedrich Merz scheiterte mit seinem Gesetzentwurf, weil einige Abgeordnete seiner Fraktion und der FDP-Fraktion nicht abstimmten. So fehlten ihm die notwendigen Stimmen zur Mehrheit. Merz hat verloren, und mit ihm die Demokratie.

Der einzige Gewinner wird traurigerweise gerade die AfD sein, die von bisher noch unschlüssigen Wähler:innen profitiert. Wähler:innen, die vielleicht CDU bzw. CSU gewählt hätten, nun aber durch dieses Debakel lieber gleich das „Original“ wählen werden. Friedrich Merz ging „All-in“, und hat sich verzockt – zulasten einer weltoffenen Gesellschaft.

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