Auf dem Weg in einen autoritären Staat

Foto: Markus Spiske – Unsplash

Deutschland. Kurz vor der Bundestagswahl. Wir befinden uns in einem Zustand, in dem „Vater Staat“ immer häufiger autoritäre Maßnahmen gegen die Bürger:innen dieses Landes fordert. Wo wird das enden? Und werden wir in Zukunft in einem Überwachungsstaat à la Orwell’s 1984 leben?

Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.

Jean-Claude Juncker, in: Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999

Autoritarismus – ein Erklärungsversuch

Bei autoritären Staaten denken viele vermutlich an Russland, Nordkorea und vielleicht auch noch an viele arabische Länder wie Afghanistan oder den Iran, in denen die religiöse Autorität einen Großteil der Macht beansprucht. Andersdenkende oder „Ungläubige“ werden dort verfolgt und manchmal auch getötet. Aber in der Bundesrepublik Deutschland leben die Menschen ja in einer liberalen Demokratie, in einem funktionieren Rechts- und Sozialstaat. Mit einer funktionierenden Gewaltenteilung. Also alles gut! Oder?

Der Verfassungsschutz Bayern definiert Autoritarismus wie folgt: „Als politisches System ist der Autoritarismus anti-demokratisch, antiliberal, antipluralistisch und anti-individualistisch.“ Es gehe in solch einem System um Befehl, Gehorsam, Recht und Ordnung. Dahinter stehe aber keine Ideologie. Vielmehr wird das bedingungslose Folgen einer autoritären Führungspersönlichkeit verlangt. „Recht und Ordnung“ ist doch genau das, was die CDU im aktuellen Wahlkampf auf ihre Wahlplakate schreibt. Merz hat zudem am 29. Januar 2025 die Brandmauer zur Alternative für Deutschland (AfD) eingerissen.

Gerade in Zeiten, in denen die Grundstimmung der Menschen von (wirtschaftlicher) Unsicherheit geprägt ist, werden die Rufe nach einem autoritären Regime, welches „durchgreift“, lauter. In solchen Zeiten sehnen sich die Bürger:innen eines Landes nach einer oder einem starken „Führer:in“. Das klingt zunächst einmal menschlich. Ein autoritärer Staat bedeutet für die dort lebenden Menschen aber auch enorme Einschnitte in ihre Freiheit und Selbstbestimmung sowie in grundlegende Rechte.

Demokratie in Gefahr

Mathias Middelberg spricht nun bereits davon, die finanzielle Förderung der an den Anti-Merz-Demonstrationen beteiligten Organisationen zu überprüfen, wie DER SPIEGEL am 14. Februar 2025 berichtete. Das Demonstrationsrecht ist jedoch ein hohes Gut, welches sogar ihren Platz ins Grundgesetz gefunden hat. Demnach „[haben] alle Deutschen […] das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, heißt es in Artikel 8. Verbunden ist das mit dem Grundrecht, Vereine zu gründen (Artikel 9 des Grundgesetzes), sofern diese keine strafbaren Zwecke verfolgen.

In München organisierte etwa das Bündnis München ist bunt am 08.02.2025 eine Demonstration, um die Demokratie zu verteidigen. Für Respekt, Toleranz und eine offene Gesellschaft. Und natürlich wurde dort auch die Union für ihr Vorgehen bei der Abstimmung über ihren 5-Punkte-Plan kritisiert. Das ist doch gelebte Demokratie: Menschen, die auf die Straße gehen, weil sie bemerken, dass die Demokratie immer weiter ausgehöhlt wird, weil gemeinsame Sache mit rechtsextremen Parteien gemacht wird. Sofern nicht zu Straftaten gegen Politiker:innen aufgerufen wird – und das wurde es bei keiner einzigen Demo – ist das völlig legitim. Alles andere führt direkt zu einer autoritären Machtstruktur, in der eine:r an der Spitze des Staates bestimmt, was erlaubt ist und welche Kritik den Herrschenden genehm ist.

Bei dieser abstrusen Forderung des CDU-Politikers Middelberg der gravierenden Einschränkung von Grundrechten und nicht ins Weltbild passenden Demonstrationen, bleibt es aber nicht. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zeigt nun sein wahres anti-demokratisches und autoritäres Gesicht. Dieser möchte extremistische Inhalte im Internet sperren oder löschen. Ungeniert fordert er eine Zensur. Ein Großteil der Bevölkerung stimmt dieser Forderung mit Sicherheit zu. Die Frage, die bleibt: Wo wird das enden? Fallen bald alle staatskritischen Texte, wie auch dieser hier, unter Zensur?

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Martin Niemöller (1892-1984), evangelischer Pfarrer

Widerstand ist Pflicht

Niemöller drückt damit aus, dass Unrecht nur passieren kann, wenn alle schweigen. Wenn alle nur zusehen und nicht einschreiten. Vielleicht aus Angst, oder Bequemlichkeit. Vielleicht weil viele damals dachten „Ach, so schlimm wird es schon nicht“. Heute stehen wir in Deutschland wieder vor der selben Herausforderung. Geschichte mag sich nicht wiederholen; die Muster tun es.

Während der Corona-Pandemie wurden Ungeimpfte als Pandemietreiber dargestellt. Dabei reichte die Spaltung von Geimpften und Ungeimpften bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Heute ist das längst vergessen. Doch neue Schuldige sind längst vorhanden: Die kriminellen und „illegalen“ Migrant:innen. Oder die pro-palästinensischen Demonstrant:innen, die sich an besondere Sprachauflagen zu halten haben. Oder Aktivist:innen, die sich für Klimaschutz einsetzen, wie in Bayern der Fall Lisa Pöttinger zeigt. Die autoritären Einschläge kommen in immer kürzeren Abständen und betreffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen.

So dachten vor einigen Jahre viele vermutlich noch „Ich bin ja geimpft“. Heute mag es der Satz sein: „Ich bin doch Deutsche:r; Abschiebung betrifft mich doch gar nicht“. Viele unterstützen den Krieg Israels gegen die Hamas, aber damit leider auch gegen die palästinensische Bevölkerung. Und mit Marxisten und Kommunisten gibt sich Otto-Normal-Verbraucher sowieso nicht ab. Solche Gedanken gab es in Deutschland während des nationalsozialistischen Regimes ebenso zuhauf. Fast niemanden hat es interessiert, als plötzlich den Jüd:innen Berufsverbote erteilt, Geschäfte boykottiert oder Andersdenkende deportiert wurden.

Heutzutage mag es keine Konzentrationslager mehr geben. Der autoritäre Staat ist aber wieder zurück; mit allen Mitteln versucht dieser Gegner:innen einzuschüchtern, sie mit unsinnigen Verboten an der Wahrnehmung von Grundrechten zu hindern. Wir haben kein Recht darauf, dass wir ewig in einem demokratischen, weltoffenen und liberalen Rechts- und Sozialstaat leben. Der Erhalt der Demokratie, der Freiheit von Einzelnen, muss immer wieder von Neuem erkämpft werden.

Den Schutz der schwächsten Personengruppen und die Solidarität mit unterdrückten Menschen müssen wir immer wieder einfordern. Demonstrationen sind hier ein wesentliches Mittel dazu. Und manchmal können auch Aktionen des zivilen Ungehorsams dazu zählen.

Wie Merz und die Union den autoritären Staat vorantreiben

Auch anderer Stelle werden wir mit einem wahrscheinlich neuen Kanzler Friedrich Merz einen autoritären Staat erleben. Die Legalisierung von Cannabis möchte die Union etwa wieder rückgängig machen und damit die kleinen Konsument:innen wieder kriminalisieren. Das Selbstbestimmungsgesetz, welches Transfrauen und -männern und „non binary people“ die Änderung ihres Geschlechts und ggf. ihres Vornamens erleichtert, soll rückabgewickelt werden. Diese Personen sollen sich dann nach dem Willen der Union fortan wieder unzähligen und teilweise entwürdigenden Gutachten unterziehen.

Bürgergeld-Empfänger:innen werden als „faule Schmarotzer“ dargestellt. Der Ausspruch „Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten“ in dieser oder einer ähnlichen Formulierung wird immer wieder gebraucht. Merz spricht hier immer von rund 1,8 Millionen Personen. Das ist tatsächlich so, wie ein Faktencheck zur Wahlarena beweist. Wie es dort heißt, fallen hierunter auch Personen mit „Vermittlungshemmnissen“ oder Alleinerziehende, die keinen Betreuungsplatz für ihr Kind während ihrer Arbeitszeit finden. 2023 lag die Anzahl der „Totalverweigerer“ bei rund 16.000 – das sind gerade einmal 0,89%.

Der autoritäre Staat und die soziale Frage

Anstatt mit stumpfen Parolen auf die einzutreten, die meist sowieso schon „ganz unten“ sind – sei es finanziell oder gesellschaftlich – sollte vielmehr der Arbeitsmarkt reformiert werden. Damit auch (schwer)behinderte Bewerber:innen, Personen über 55 Jahren oder Menschen nach einer überstandenen Krise wieder integriert werden – und von denen viele gerne arbeiten wollen würden.

Für die meisten Unternehmen gilt die Gruppe der schwer Vermittelbaren aber als nicht mehr „arbeitswert“. Die meisten von ihnen hangeln sich von Maßnahme zu Maßnahme und müssen mit einem monatlichen Geldbetrag auskommen, der angesichts der Inflation einem menschenwürdigen Existenzminimum schon lange nicht mehr entspricht, weshalb der Regelsatz deutlich angehoben werden muss.

Integration gelingt in diesem ohnehin kaputten Arbeitsmarkt jedoch nur mit einer gesetzlich geregelten Quote wie es sie schon bei Schwerbehinderten gibt: Die Androhung einer monatlichen Strafzahlung in nicht unerheblicher Höhe, wenn Unternehmen nicht „arbeitswürdige“ Menschen nicht anstellen. Daneben braucht es zwingend mehr Betreuungsplätze, damit auch Alleinerziehende für ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe sorgen können. Ohne staatliche Hilfe bedeutet auch, dass der Mindestlohn auf mindestens 18 Euro angehoben werden muss und so auch Teilzeitarbeit problemlos möglich ist.

Überwachungsstaat deluxe

Die Union fordert zudem in ihrem Wahlprogramm den Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, auch KI-gestützt zur automatischen Gesichtserkennung. Auch die Vorratsdatenspeicherung soll verpflichtend für Internetanbieter werden. Außerdem möchte sie eine rechtliche Grundlage für die Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung („Staatstrojaner“) und die automatische Datenanalyse schaffen.

Sie stellt die Strafunmündigkeit von Kindern unter 14-Jährigen sowie mit der Forderung der Verwendung von Body-Cams bei Polizeiensätzen auch in Wohnräumen die Unverletzlichkeit und Privatheit von Wohnungen in Frage. Eine Kennzeichnungspflicht von Polizist:innen und die Ausstellungspflicht von Kontrollquittungen lehnt die Union ebenfalls ab – bei der Zunahme von polizeilicher Gewalt und „racial profiling“ eine bedenkliche Entwicklung, die uns in Deutschland nach der Bundestagswahl und einem möglichen Bundeskanzler Friedrich Merz drohen könnte.

Was bleibt?

Inzwischen ist es 1 vor 12. Europa- und weltweit erleben wir eine zunehmende Tendenz hin zu autoritären und rechtsextremen Regierungen. Darunter leiden wird unsere Vielfalt und die Individualität eines jeden Menschen. Die Frage „Was tut der Staat für die Bürger:innen?“ wird zu „Und was tust du für den Staat?“.

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